Manche Laufveranstaltungen sind nach und nach zu einer Institution geworden und stehen, nicht nur bei mir, als wiederkehrender Termin fest zementiert im Kalender. Ein noch nahezu jungfräuliches Event schaffte es bereits nach dessen Premiere zum Pflichttermin zu mutieren.
Man muss sich Ziele setzen. Das habe ich schon im letzten Jahr so gehandhabt. »Martin, du musst unter den Ersten sein«. Nicht, dass wir uns falsch verstehen – gemeint sind hier die ersten Plätze unter den angemeldeten Läufern. Das hat zumindest geklappt. Kurz nach der Öffnung der Anmeldung stehe ich erneut (Murmeltiertag lässt grüßen) ganz oben auf der Starterliste der neu etablierten 37k-Distanz des 2. HochRhön BergTrail 2023. Die Vorfreude ist groß, aber bis zu dem Tag X dauert es noch etwas.
Raus aus dem Urlaubsmodus
Der Sommer ist bei mir nicht unbedingt die Zeit, in der ich mich verausgabe. Meine Wettkämpfe plane ich eher in den kühleren Jahreszeiten. Wie schon im letzten Jahr findet der HochRhön BergTrail beinahe unmittelbar nach meinem Sommerurlaub an der Nordsee statt. Ein wenig Rumgerenne am Strand mit nullkommanull Höhenmetern kann man wahrlich nicht als bestes Training für diese Veranstaltung bezeichnen, aber vielleicht haben die beiden Einheiten in der Söhre und im Bergpark gereicht, dass ich mich nicht vollends blamiere.
Im Urlaubsmodus ist auch der Rest meiner Laufcrew. Einzig Ina und Marcel stehen auch auf der Starterliste des 37k-Laufes. Selbst das Urgestein der Rhön hat seine Teilnahme noch nicht zu 100% bestätigen können – Jonas macht seinen Start noch davon abhängig, wie erholt oder gestresst er von der Rückreise aus dem Urlaub sein wird.
So erreicht unser Trio, mit einem ausreichenden Zeitpuffer und einer dank der Fahrgemeinschaft vertretbaren CO2-Bilanz, frohen Mutes den beschaulichen Ort Hilders in der Rhön. Dessen Highlight des Jahres dürfte augenscheinlich jene Sportveranstaltung sein, an der wir heute teilnehmen werden. Das lässt zumindest das rege Treiben rings um dem Sportplatz vermuten, an dem um die 400 Läuferinnen und Läufer an den Start gehen werden.
Wir sind die Coolsten
Und damit meine ich wirklich alle hier am Start. Wir haben nämlich eine Sonnenbrille im Startbeutel. Als ob der Benne Beck Gedanken lesen könnte: Meiner einer hat zufällig die Brille zu Hause vergessen. Okay, die im Beutel ist zwar mehr etwas fürs Straßencafé oder den Biergarten, aber hey – cool sieht sie aus. Die trage ich während des Laufs, denn nachher – oben auf dem Berg – kommt sicher die Sonne raus.
Apropos cool – im Startbereich treffe ich die coolsten Leute: Jonas hat die Autobahn rechtzeitig verlassen können und ist dabei. Marcel Neumann ist angeblich nicht gut drauf und sieht tatsächlich auch etwas müde aus, als er mit der Familie auftaucht – die Ärmsten kommen ebenso wie Jonas gerade aus dem Urlaub und wollen zunächst bedauert werden. Ja, das Leben ist hart, ich weiß. Wenigstens die wunderbare Jenny ist bestens gelaunt und wird – Achtung Spoiler (!) – später den 28k-Lauf souverän gewinnen. Gratulation dazu!
Der Start wird aufgrund des Andrangs um zehn Minuten vorschoben. Wir nutzen die Zeit für ein eklatantes No-Go und lichten uns frech auf dem Siegerpodest ab – wohl wissend, dass da nur die Cracks drauf landen werden. Bevor es losgeht, darf jeder der Herrschaften noch ein Selfie machen…
Jetzt aber…
Das friedliche Miteinander im Startbereich wird nicht von langer Dauer sein. Nicht falsch verstehen – friedlich ja, aber miteinander nein. Spätestens nach ein paar Kilometern trennen uns sowohl das unterschiedliche Leistungsvermögen als auch aufgemalte bunte Pfeile. Wir starten zwar zusammen mit den kürzeren Distanzen, müssen unterwegs aber den ein oder anderen Schlenker extra laufen. Logisch, oder? Ich wollte es nur mal gesagt haben…
Nicht weit nach dem Start empfangen uns bereits die ersten Steigungen und Off-Roadabschnitte, und schon auf dem Singletrail der Ritterschlucht beginnt die Schlacht um die vordersten Plätze. Selbstredend außerhalb meiner Sichtweite, denn vorne mitlaufen werde ich in der höchsten Altersklasse sicherlich nicht.
Das mit dem Puls im grünen Bereich halten klappt nur so mittel, aber immerhin bekomme ich im Gegensatz zum letzten Jahr keine Schnappatmung. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich das hier viel zu schnell angehe. Das wird sich später rächen, da bin ich mir sicher.
Und Tschüss…
Nach etwas mehr als drei Kilometern geht’s dann endlich mal wieder bergab. Solange die Beine noch frisch sind, lasse ich es rollen, denke ich mir. Was ich hab, das habe ich. Apropos haben: Was ich nicht mehr habe, ist eine coole Sonnenbrille. Anders als meine normale Sportbrille hält das Exemplar aus dem Startbeutel nämlich nicht auf dem Kopf, wenn man sie hoch auf der Mütze stecken hat und wie ein irrer den Waldweg runterbrettert. Der Aufprall, ein paar Meter hoch und ebenso weit, ist ihr nicht besonders gut bekommen. Das war ein kurzes Vergnügen. Die Beisetzung erfolgt sogleich in aller Stille am VP 1.
Gerade als mich mir die Tränchen aufgrund des derben Verlustes (Ernsthaft, die Brille war wirklich cool!) aus den Augen wische, tauchen Ina und Marcel hinter mir auf. Komisch, Marcel hatte ich eigentlich vor mir vermutet, aber wie es sich herausstellt, hat er sich kurz verlaufen. Klappt ja super – das mit den bunten Pfeilen.
Unser Trio trennt sich auf den nächsten Kilometern öfters mal. Marcel hat eine ähnliche Herangehensweise an Berge und Downhills wie ich. „Immer feste druff“, wie der Kasseläner sagt. Ina hingegen läuft konstant wie eine Nähmaschine, scheinbar stets mit ein und derselben Pace.
Die Strecke wird richtig schön und abwechslungsreich. Trailige und anspruchsvolle Abschnitte wechseln sich mit einfach laufbaren Wegen ab. Auf dem Trail hoch zum Buchschirmberg haben wir bereits die Hälfte der Höhenmeter abgefrühstückt, dabei sind wir erst bei Kilometer 11.
Oben von der Aussichtsplattform Krone hören wir schon die Blasmusik. Insgeheim hoffen wir auf dazu passendes Weißbier und ofenfrische Brezeln, wohl wissend, dass wir mit Wasser, Cola und Obst auskommen müssen.
La Ola geht fremd
Einmal um die Aussichtsplattform Krone herum erwartet uns nicht nur ein Ausblick auf die pittoreske(!) Landschaft der Rhön, sondern auch noch der zweite VP. Kaum schütte ich den ersten Becher Cola in mich hinein, rauscht unsere Nähmaschine Ina heran, schnappt sich ein Wasser und flitzt, ohne anzuhalten, an uns vorbei. Okay, die will’s wohl wissen heute.
So schön es hier oben auch ist: Es hilft ja nichts, da liegen noch einige Kilometer vor uns – also los. Doch bevor es weitergeht, werde ich noch kurz experimentierfreudig. Was beim BiMa Tradition hat, sollte doch wohl auch beim HochRhön BergTrail funktionieren…
Etwas weiter oben am Gipfelkreuz hat man nicht nur einen tollen Fernblick auf Wasserkuppe & Co., sondern auch noch ein klein wenig Heimatfilm-Feeling. Beinahe erwartet man, dass die Heidi und der Geissenpeter zwischen den Kühen hervorspringen.
Feucht- und Grenzgebiete
Ja, nee. Nicht, was ihr schon wieder denkt. Ihr Ferkel. Nasse Füße sind angesagt. Und das nicht zu knapp. Wenn der Wiesenweg unter Wasser steht, dann hilft nur „Augen zu und durch!“
Völlig unbemerkt überschreiten wir ein paar Kilometer später die ehemalige innerdeutsche Grenze und finden uns in Thüringen wieder. Eeeenwondfrei. Wo gibt’s jetzt die Fettbemmen und die Würste? Ja, okay. War nix. Stattdessen zermürbt mir ein elendig langer Downhill mit 10-14% Gefälle sowohl den Rücken als auch die Beine. Auch klar: Das müssen wir wieder hochlaufen. Später, wenn es keinen Spaß macht.
Noahs Segel
Okay, dass Noahs Arche auch Segel hatte, war mir neu. Aber man lernt ja nie aus. Spaß beiseite: Auf dem 814 Meter hohen Ellenbogen bei Kilometer 18,9 erwartet uns nicht nur der nächste VP sowie eine tolle Aussicht, sondern auch die 23 Meter hohe Aussichtsplattform Noahs Segel.
Bis zum Erreichen des visuellen Spektakels gilt es noch ordentlich die hintere Muskelkette zu dehnen. Beinahe oben am Berg erspähe ich Ina und Marcel. So richtig zieht es uns nicht auseinander – irgendwie beruhigend.
Über mir schwebt eine Drohne. Ich ahne jetzt schon, dass ich auf den Bildern oder dem Film furchtbar gequält und im Ernstfall scheiße aussehen werde – wenn ich denn überhaupt drauf bin.
Die Verweildauer an thüringischen VPs habe ich anders in Erinnerung. Um nicht vollends von Ina und Marcel abgehängt zu werden, hat die ganze Aktion hier oben Ellenbogen etwas von einem Boxenstopp bei einem Formel 1 Rennen. Da wünsche ich mir doch eher den Rennsteig-Charakter herbei.
So langsam wird’s zäh…
Gefühlt nehmen wir alle Trails mit, die die Thüringer Rhön auf dieser Ecke zu bieten hat. Wenn die Beine nicht so langsam zäh und harzig wären, würde das echt noch mehr Bock machen. Ja, und dann kommt er halt: Der Anstieg vorbei am Thüringer Rhönhaus, bis hinauf zur Hinteren Rhön. Oh, verdammt. Das ist heftig. Findet auch Marcel, denn der hat ganz oben mit dem ein oder anderen Krampf zu kämpfen. Da muss er durch – ich renne weiter.
Der Weg zurück über Wald- und Wiesenwege in Richtung Gipfelkreuz Buchschirm zieht sich ewig. Ich laufe ein paar hundert Meter, dehne meinen Rücken und setze dieses Ritual fort, bis ich zu dem Streckenposten kurz vor dem Fernsehturm komme, an dem wir vorhin schonmal vorbeigelaufen sind. Während ich mir noch ein Gel einverleibe, erhasche ich einen Blick auf seine akkurat gepflegte Liste der Startnummern, die bereits an dem Punkt durchgelaufen sind. Da schau her – so langsam bin ich gar nicht. Irgendwas um den 20. Platz. Und Jonas ist nur kurz vor mir. Was ist denn da los?
Endspurt
Genau hier beweist sich wieder, dass das Laufen manchmal Kopfsache ist. Wo sind plötzlich die Rückenschmerzen hin? Lag’s am Gel oder an der Aussicht, dass ich doch nicht im hinteren Feld ankommen werde?
Apropos Aussicht: Selbige hatte ich heute schon mal. Kurz vor dem Gipfelkreuz Buchschirm geht’s bergab. Der pittoreske Singletrail-Downhill, der hier und da die Website des HochRhön BergTrail ziert, steht an. Dass es danach nicht ausschließlich weiter bergab geht, habe ich noch vom letzten Jahr in Erinnerung.
Auf den letzten Kilometern werden wir nochmal ordentlich koordinativ gefordert. Die Trails haben es teilweise wirklich in sich. Kurz vor dem Ziel noch mal langlegen – das muss nun wirklich nicht sein. Trotzdem bin ich noch so schnell, dass ich noch ein paar Läuferinnen und Läufer einholen kann.
Als ich gerade die Landstraße überquere, höre ich vom Streckenposten ein „ab jetzt geht’s nur noch bergab“. Nun, dann will ich ihm mal glauben. Kurz nach dem letzten VP bei Kilometer 34 werden wir auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Es geht wieder bergauf. „Dahinter geht’s nur noch bergab“ ruft uns die Mannschaft vom VP hinterher. Mega Gag, Leute. Den habt ihr euch doch bei der Planung des Laufs feixend ausgedacht, oder?
Kurz vor dem Zieleinlauf treffe ich auf Ina, die bereits vor dem Tunnel unter der Landstraße, den wir gleich durchlaufen werden, in einem eigenen Tunnel zu sein scheint. Oha, da renne ich mal lieber still nebenher und halte die Klappe. Besser ist das.
Das Beste kommt zum Schluss
„Wollen wir heim? Ist bestimmt Stau auf der Autobahn…“
„Ach nee, lass uns noch ein Bierchen trinken und die Siegerehrung anschauen.“
Okay, dass der Marcel „mimimi-ich-bin-nicht-gut-drauf“ Neumann auf dem zweiten Platz gelandet ist, ist nicht weiter überraschend. Damit habe ich gerechnet. Dass die Ina recht weit vorn gelandet ist, konnte ich schon anhand der Liste des Streckenpostens erahnen. Tatsächlich ist es dann der 2. Platz in ihrer Altersklasse geworden – herzlichen Glückwunsch. Was nun aber keiner auf dem Plan hatte, ist das hier…
Habt ihr eine Ahnung, wie verflucht hinderlich zerschrottete Beine sind, wenn man auf den mittleren Holzstamm steigen muss? Wie dämlich muss das wohl ausgesehen haben?
Danke 😍
Lieben Dank an das Team vom HochRhön BergTrail. Das war wieder großartig. Wir sehen uns nächstes Jahr, wenn es wieder heißt: „Ab jetzt geht’s nur noch bergab!“
15 Kommentare
Comment by Schrottie
Schrottie 5. September 2023
Herzlichen Glückwunsch!
Comment by Martin
Martin 5. September 2023
Danke dir.
Comment by Thomas
Thomas 5. September 2023
Das war doch nur eine Frage der Zeit, bist Du mal ganz oben auf dem Treppchen stehst… Herzlichen Glückwunsch, Martin!
Comment by Martin
Martin 6. September 2023
Danke dir.
Das ist in meiner Altersklasse gar nicht mal so einfach. Bei den langen Dingern wimmelt es nur so von alten Säcken wie mir.
Comment by Benne Beck
Benne Beck 6. September 2023
Herzlichen Glückwunsch nochmal, Martin! Starke Leistung ♂️⛰️und ein sehr kurzweiliger und unterhaltsamer Bericht. Gratulation!
Ich schicke Dir eine neue Brille zu, wir haben noch welche …
Viele Grüße Benne & das Team vom HochRhön-BergTrail
Comment by Martin
Martin 6. September 2023
Oh wow. Das ist ja ein Träumchen. Lieben Dank.
Comment by Martin
Martin 9. September 2023
Ein Mann – ein Wort!
Comment by Thorsten
Thorsten 6. September 2023
Sieg AK 50! Congrats, Martin! MEGA LEISTUNG
Comment by Martin
Martin 6. September 2023
Ja, vielen Dank. Das wäre auch was für dich gewesen, Thorsten!
Obwohl – der zählt ja nicht für deine Sammlung.
@Benne: Nächstes Jahr unbedingt eine 42K+ Strecke, dann sorge ich noch für weiteren Zulauf!
Comment by Oliver
Oliver 6. September 2023
So viel grün! Und Kühe! Sieht verlockend aus!
Und Glückwunsch zum Treppchen, scheinbar hat unsere AK grade einen Lauf
Comment by Martin
Martin 6. September 2023
Ja, herrlich dort. Das stimmt.
Das mit dem Treppchen wird allerdings eher kein Dauerzustand, aber manchmal hat man auch mal Glück.
Comment by Andreas
Andreas 8. September 2023
Glückwunsch, Martin! Gutes Rennen, tolle Strecke! Wäre ich viel lieber gelaufen als die 4 x 5,27 km durch die Stadt
Comment by Martin
Martin 9. September 2023
Ja, das ist in der Tat eine tolle Strecke. Vielleicht ein wenig weit weg von Berlin. Aber vielleicht macht ihr bei der Gelegenheit mal Urlaub in der Rhön.
Comment by Finn
Finn 11. September 2023
Hey, sehr cooler Bericht Bei eurem Zusammentreffen am Buchschirm bzw. als Ina ohne Pause am VP vorbeirannte, war ich direkt bei euch und hab das Ganze mitbekommen Schön, jetzt davon zu lesen.
Hoffentlich zieht dieser Blog noch ein paar Leute mehr in die Rhön nächstes Jahr
Comment by Martin
Martin 13. September 2023
Seht ihr Leute: Das ist der Beweis. Hier wird nichts erfunden und dazugedichtet!
Danke, Finn. Nächstes Jahr gibt’s bestimmt noch mehr Teilnehmer. Auch ohne das Blog hier.