Die Titel dieses Beitrags sollte eigentlich anders lauten. Aber es konnte ja niemand ahnen, dass das Ereignis, was als gemütlicher Jahresabschluss geplant war, letztendlich doch ein wenig ausuferte. Und das kam so…
Morgens am Frühstückstisch: „Duuuu. Nächstes Wochenende findet der Twistesee Adventsmarathon statt. Da bin ich doch 2018 schon mal mitgelaufen. Weißt du noch?“ Mit einem treuen Hundeblick warte ich auf die Reaktion der Holden. Völlig überraschend reagiert sie mit einem „Pff. Mach doch, wenn du meinst.“ auf mein mutiges Vorhaben.
In diesem Jahr bin ich tatsächlich noch keinen Marathon gelaufen. Neben ein paar kürzeren Distanzen standen „nur“ zwei Ultras auf dem Programm. Mein innerer Monk hatte irgendwie etwas dagegen, dass ausgerechnet jene Distanz fehlen sollte. Tja, da kam der Twistesee Adventsmarathon, der mittlerweile von Sylke Kuhn organisiert wird, wie gerufen.
Es gibt viel, was der Lauf mit der Auflage von 2018 gemeinsam hat. Das Wetter zum Beispiel. Auch die Strecke ist die gleiche. Sagt zumindest der GPX-Track, den wir uns vor dem Event auf die Uhr laden. Hier wären wir auch schon beim ersten Unterschied. Eine Streckenmarkierung gibt es nicht. Ebenso wenig ein Treffen in der Twisteseehalle. Das tut auch nicht Not – bei 30 TeilnehmerInnen.
Familientreffen
Das familiäre Grüppchen trifft sich gerade mal eine Viertelstunde vor dem Start auf dem Parkplatz, um anschließend ganz entspannt an den Start in der Höhe des Überlaufbauwerks zu gehen. Mit dabei sind auch Ron und Thorsten. Ob die beiden gleich wieder zu Beginn an Vollgas geben – so wie beim BiMa?
Zumindest der Thorsten darf heute unterwegs nicht bummeln. So dünn, wie er angezogen ist, muss er gleich mal ein Brikett mehr in den Ofen legen.
Nachdem die Chefin, also Sylke, die Startaufstellung visuell dokumentiert hat, folgt noch ein kurzes Briefing: Die Strecke würden wir ja kennen, insofern kann nichts schief gehen. Es sei denn, wir müssen wegen Baumfällarbeiten oder Jagdabsperrungen einen Umweg nehmen. So in der Art hat sie sich ausgedrückt. Aber hey – Unsinn. Doch nicht ausgerechnet heute, unmittelbar vor dem 1. Advent.
Und so kommt’s, dass der muntere Haufen sich unbekümmert bei schönstem Sonnenschein auf den Weg macht. Der Wettergott muss Läufer sein. Ihr erinnert euch an Thorsten und das Brikett? Als ob ich es geahnt hätte – schon nach wenigen hundert Metern haben wir den Heißsporn aus den Augen verloren. Entweder muss er zum Mittagessen wieder zu Hause sein oder er ist heiß auf eine Bestzeit.
Okay, besonders langsam sind wir mit einer 5:20er Pace auch nicht unterwegs, aber immerhin reicht es noch für intensives Gequatsche über all das, was wir in diesem Jahr erlebt haben. Ja, Mann – genau so hatte ich mir das heute vorgestellt!
Enthusiasmus pur
Kurz nach dem Twistesee werden die ersten der rund 600 Höhenmeter in Angriff genommen. Unsere Gruppe ist sich einig, dass sich die derzeitige Pace irgendwann rächen wird, aber einen Gang raus nehmen wir trotzdem nicht. Ihr kennt das – wenn’s läuft, dann läuft’s.
Die Stimmung ist großartig, und ich bin mit jedem weiteren Meter mehr und mehr froh, dass ich mir das kleine Abenteuer nach einer anstrengenden Woche mit viel Rumsitzerei und Lernerei vorgenommen habe – der perfekte Ausgleich sozusagen.
Und wo ich gerade beim Schwärmen bin: Die ganzen Verrückten, mit denen ich hier gerade unterwegs bin, könnten nicht netter sein. Kein Wunder – wir haben ja auch alle das schönste Hobby der Welt.
Nicht mal der obligatorische Schluppenläufer fehlt. Wie schon auf dem Rennsteig ist auch hier ein Teilnehmer in Shammas unterwegs. Ich laufe ja auch ab und zu mit Sandalen, aber während eines Marathons bei 3°C trage ich dann doch lieber meine inov-8.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Mittlerweile haben wir rund 15 Kilometer hinter uns. Noch immer läuft’s perfekt, und unsere Gruppe ist weiterhin beisammen. Weder gehen die Gesprächsthemen noch die Körner aus.
So langsam mache ich mir Gedanken, was ich später im Blogbeitrag schreiben soll. Ein Lauf, den man von Kilometer 0 bis 42 ohne Probleme durchrennt, ist ja nicht sooo spannend. Vielleicht muss der Ron später nochmal meine Wade behandeln? Genug Übung vom Rennsteig hat er ja noch. Ach nee, das hatten wir schon. Keine Wiederholungen bitte!
Nun, immerhin wird es im besagten Beitrag nicht an schönen Bildern mangeln. Diese Landschaft, dieser Sonnenschein zwischen den Bäumen – wie extra dafür bestellt, oder? Hach…
Wenn mir kein Text eingefallen wäre, hätte es auch für einen Beitrag nur mit Bildern gereicht. Das wäre Premiere gewesen, aber irgendwas ist ja immer – so heißt es doch. Und noch liegt mehr als die Hälfte noch vor uns.
Habt ihr gemerkt, wie ich mehr oder minder geschickt versuche, den Spannungsbogen aufzubauen? Okay. Wir rennen jetzt noch durch dieses schöne Licht, und dann geht es los. Versprochen!
Schluss mit lustig
So. Ab jetzt ist Schluss mit lustig. Wir befinden uns bei Kilometer 19,5. Von hier an ist dieser Lauf nicht mehr Bestenlisten fähig. Es sei denn, man ist ein mutiges Kerlchen und rennt durch eine Absperrung mit der Warnung „Lebensgefahr“ hindurch. Oder man mag Diskussionen mit Jägern, die eigentlich statt eines Läufers die Wildsau vor dem Lauf gehabt hätten. Wir jedoch sind der Meinung, dass wir lieber einen Umweg in Kauf nehmen und drehen bis zum vorherigen Abzweig um, um dort das Jagdgebiet zu umlaufen. So ist der Plan. Ein paar Meter später kommt uns Sylke entgegen, die ebenso keine Lust auf eine Konfrontation mit Schrot und Kugel hat.
Der nun folgende Umweg besteht aus einer Mischung aus Wiese und einer Extraportion Landstraße. Gerade Letztere hätte nicht unbedingt sein müssen. Aber nach ein paar Metern sind wir wieder auf der Originalstrecke und dann kommt ja erstmal die Schleife entlang des Wilhelm-Kaiser-Wegs. Anschließend, so sind wir uns einig, ist das mit der Jagd sicher vorbei und wir können ungestört weiter auf der Strecke laufen.
Ihr ahnt es sicher. Das war natürlich nicht der Fall. Selbstredend halten uns nicht nur auffällige Schilder weiter davon ab, in das Waldgebiet abzubiegen, in welchem wir eigentlich so langsam mal wieder in Richtung Ziel gelangen wollen. Auch Schüsse und Hundegebell signalisieren eindeutig: „Hey, rennt mal lieber die Landstraße weiter hoch. Ist auch schön. Nicht.“
Mission: Finde den Weg!
Wir sind ziemlich genau bei Kilometer 30, als wir auf dem höchsten Punkt des Doppelsberg (und gleichzeitig auch der höchste Punkt der „neuen“ Strecke des Adventsmarathons) endlich einen Trail entdecken, der nicht abgesperrt ist. Zu aller Freude geht es sogar bergab. Und anschließend natürlich wieder bergauf…
Von nun an haben wir ein vorrangiges Ziel – sozusagen das Ziel vor dem eigentlichen Ziel: Finde den Weg zurück auf die Originalstrecke. Ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage: Es hat etwas gedauert.
Einige Unterhölzer und Schlammpfützen später – wir befinden uns unmittelbar vor dem Verlassen des Niemandslandes – trabt plötzlich ein schwarzer Hund mit Antenne neben uns her. Oh oh, ein Jagdhund. Kurzer Schreck – doch so gechilled, wie der gerade unterwegs ist, treibt der sicher keine Wildschweinrotte vor sich her. Anscheinend hat er sich nur verlaufen.
Back on track
Kurz nach dem Bild macht der Akku meiner GoPro schlapp. Die Gute hat sich nicht auf einen Ultra eingestellt. Wir auch nicht, aber im Gegensatz zu dem elendigen Stück Technik haben wir noch Saft. Mittlerweile wieder „back on track“ traben wir mehr oder weniger geschmeidig dem Ziel entgegen.
Im Ziel. Fast.
Kurz hinter dem kleinen Örtchen Braunsen gab es bei den früheren Veranstaltungen immer einen VP, bei dem Assbach und Nussecken gereicht worden sind. Dieses Mal ist das einzige Highlight jedoch, dass meine Uhr das Erreichen der Marathon-Distanz anzeigt.
Eigentlich wäre ich jetzt da. Mein Kopf und meine Beine haben gerade keine Lust mehr. Aber hey, es hilft ja nix. Für vier Kilometer ein Taxi rufen wäre jetzt auch Unsinn. Insofern: „Halt, wartet auf mich!“
Im Ziel. Jetzt aber echt.
Und so kommt es, dass sich nach etwas mehr als 46 Kilometern ein Haufen zufriedener Ultramarathon-Finisher gegenseitig zum Lauf gratuliert. Wir sind uns ziemlich einig, dass gerade die Streckenabschnitte, die nicht geplant waren, am meisten Spaß gemacht haben. Mal von der Landstraße abgesehen. Insofern: Sylke, lieben Dank für die Orga. Dass du das mit der Jagd beim Briefing schon vorher gewusst hast, hat keiner von uns geahnt. Überraschung gelungen! *zwinkerzwinker*
Daten zum Lauf
10 Kommentare
Comment by Daniel
Daniel 27. November 2022
Super toll geschrieben! Ich konnte es beim
lesen wieder richtig nachfühlen vor Allem als nach dem Hecheln auf einmal der Hund mit der Antenne auftaucht
Ich hoffe wir sehen uns spätestens nächstes Jahr wieder
Comment by Martin
Martin 27. November 2022
Ja, so ein klein wenig habe ich ein wenig Panik in deinem Gesicht gesehen. Und die lag sicher nicht darin begründet, dass du Angst vor dem Hund hattest…
Ich hoffe mal, wir sehen uns schon eher als beim Adventsmarathon.
Comment by Oliver
Oliver 28. November 2022
Wieder ein Grund mehr lieber solche charmanten kleinen Veranstaltungen mitzumachen, als diese voll durchgeplanten großen Dinger. Nach Wegmarkierungen und Pfeilen laufen kann ja jeder, spontan die Strecke verlegen und mit mehr Kilometern zurechtkommen, das muss man wollen und können. Wetterglück, schöne Strecke, nette Begleitung, feine Distanz, was will man mehr? Auf jeden Fall ein schöner Jahrenabschluss.
Comment by Martin
Martin 28. November 2022
Es hat für mich beides seinen Reiz. Das Getümmel bei einem großen Marathon, wie auch das familiäre Flair bei so einem Lauf wie diesem.
Aber ich geben dir recht: Das spontane war definitiv das Highlight beim Adventsmarathon.
Comment by Andreas
Andreas 28. November 2022
Klingt nach einem sehr interessanten Lauferlebnis Wenn man in der Gruppe ist, kann solch eine unerwartete Streckensperrung ja den Spaßfaktor erhöhen – wenn man alleine orientierungslos in der Pampa steht, hört der Spaß wohl eher auf…
Comment by Martin
Martin 28. November 2022
Orientierungslos sollte man nicht sein, wenn das Mitführen von Laufuhren mit Kartenfunktion Pflicht ist. Okay, ist gibt natürlich auch Kandidaten, die mit dem Zeug nicht umgehen können, aber hey – wir doch nicht!
Comment by Marcel
Marcel 30. November 2022
Ah, sehr cool Martin. Da bekommt man direkt Lust auch mal zu starten! Ich muss mir die Veranstaltungen von Sylke echt mal fest in den Kalender eintragen.
Comment by Martin
Martin 30. November 2022
Ja, mach das. Vor allem die Landschaftsläufe solltest du dir einplanen. Da bin ich dann wohl auch dabei. Einen Marathon in der Karlsaue muss ich jetzt eher nicht haben.
Comment by ultraistgut
ultraistgut 30. November 2022
Hi, Martin, hast du wieder schön beschrieben, kannst dich haargenau an alle Einzelheiten erinnern- hast du dir unterwegs Notizen gemacht ?
Kleine Läufe dieser Art – das hat was, wie ich aus eigener Erfahrung auch weiß, dazu dieses Traumwetter, ihr hattet es euch verdient – YES !!
Comment by Martin
Martin 30. November 2022
Hahaha. Dank regelmäßiger frischer Luft funktionieren die Hirnzellen noch ganz gut. Hat zumindest dafür gereicht, dass ich am nächsten Tag noch ein paar Zeilen aus der Erinnerung kramen konnte.