Der Wettkampf ist der beste Test für einen Wettkampf. Die Behauptung steht sportwissenschaftlich vielleicht auf hölzernen Beinen, aber in der Praxis hat sich das für mich als eine durchaus erfolgreiche Strategie entpuppt. Damit im Mai das Leiden beim Supermarathon auf dem Rennsteig im Rahmen bleibt, stand am Wochenende der erste von zwei „Trainingsultras“ an.

Von frühen Vögeln

Jemand, der noch nie solche Strecken gelaufen ist, wird es womöglich nicht verstehen. Es macht tatsächlich Spaß. Vielleicht nicht alles, vor allem nicht das frühe Aufstehen. Schon gar nicht an einem Sonntag kurz nach der Zeitumstellung. Umso erstaunlicher ist es, dass die ganzen frühen Vögel, die sich hier kurz nach dem Sonnenaufgang zum Start des 1. Frau Holle Märchenland Ultra vor Marcels Garage in Hessisch Lichtenau eingefunden haben, eine derart gute Laune haben. Unheimlich, oder? Die ein oder andere Gestalt gibt sich sowas beinahe jedes Wochenende. Ich will da niemand persönlich herauspicken, außer vielleicht Nicole, Marcel, Melanie, die Kochs und… – ach lassen wir das. Der Bericht wird eh schon lang.

Kurz vor dem Start des Ultras mit 57 Kilometern und rund 1.700 Höhenmetern besteht die erste Herausforderung darin, sich beim Büfett in der Garage nicht maßlos zu überfressen. Das könnte sich auf den ersten Anstiegen rächen. Angst, dass bei der Zielankunft schon alles vertilgt ist, muss man allerdings nicht haben. Es ist reichlich – und das ist umso bemerkenswerter, da alle Startgelder als Spende für die Aktion Kilometer für Kinder verwendet werden. Vielen Dank, Marcel.

In einem knappen Streckenbriefing werden uns nasse Füße, etliche Höhenmeter und viel Spaß versprochen. Glaube ich alles. In Anbetracht der vielleicht – wie immer – nicht ganz so optimalen Vorbereitung erwarte ich als Bonus noch ein paar Andenken in Form von schmerzhaften Nachwirkungen. „Jammer nicht. Du machst das alles freiwillig!“ sagt die Holde immer. Zu Recht.

Immer dem Hasen nach

Es gibt so Sachen, die werde ich nie lernen. Auch nicht nach dem nun mittlerweile elften Ultra. Man rennt nicht in der Spitzengruppe mit, wenn man da nicht reingehört. Macht man nicht. Wirklich. Merkt es euch für später.

Und gleich noch einen Ratschlag hinterher: Folgt der Navigation auf der Uhr und nicht dem Spitzenläufer. Schließlich habt ihr für den Haufen Technik viel Geld ausgegeben. Immerhin: Nach einem kurzen Ausflug durch das Totholz können wir uns vollumfänglich auf das konzentrieren, was Ultras ausmacht. Labern und Laufen. Je nach Steigung überwiegt mal das eine und mal das andere.

Wir verabschieden uns von Ferenc. Ja, selbst Spitzengruppen lassen sich in weitere Spitzengruppen unterteilen. Hatte ich schon erwähnt, dass ich da nicht reingehöre? Auch nicht in die hintere? Egal, ich habe Spaß mit diesen netten Menschen. Und das zählt. Mal schauen, wie lange ich das Tempo mitgehen kann.

Als Ortskundiger und Organisator der Veranstaltung übernimmt Marcel die Navigation durch die pittoreske Landschaft. Besonders gefällt der Frühnebel über den Hirschhagener Teichen, der durchaus zum Verweilen einladen würde – sofern die Spitzengruppe (in der ich mich eigentlich nicht befinden sollte) nicht so viel Stress machen würde. Denn die hat schon das nächste Highlight der Strecke im Visier.

Der Kohlebunker der ehemaligen Sprengstofffabrik Hirschhagen, sicherlich ein Relikt einer unrühmlichen Zeit, dient heutzutage vornehmlich dazu, von Influencern für mehr oder minder geglückte Schnappschüsse missbraucht zu werden, nachdem er zuvor von mehr oder minder begabten Sprayern verschönert oder verunstaltet wurde.

Ein gelbe Schranke ist eine gelbe Schranke

Wo wir gerade so schön am influenzen sind, fällt uns alsbald schon das nächste Motiv ins Auge. Sicherlich ist eine gelbe Schranke zunächst erst einmal eine gelbe Schranke. Nicht mehr und nicht weniger. Dem ultra-affinen Läufer fällt da aber weitaus mehr zu ein, zumal der Werra-Meißner-Kreis mit dem Frozen Head State Park von nun an eine etablierte Ultralauf-Veranstaltung gemeinsam hat. Na, haben wir’s jetzt? That was easy.

Fortan sammeln wir nicht nur Kilometer, sondern auch Höhenmeter. Hoch geht’s Richtung Hirschberg (600 HM), um dann gleich wieder bergab auf Trails Spaß zu haben. Großes Kompliment an Marcel – eine wirklich abwechslungsreiche Strecke, die du da geplant hast.

Irgendwo auf der Höhe eines Berges, fragt mich nicht welcher, gelingt uns dann auch mal das erste Selfie des Tages. Die Vorfreude auf den VP Numero Uno nach 17 Kilometern steht uns förmlich ins Gesicht geschrieben.

Während ich noch mit dem Wegpacken der Kamera beschäftigt bin, verabschieden sich meine Mitspitzengruppenläufer schon mal Richtung VP. Wie kann man denn nach nicht einmal einem Drittel des Laufs schon so ausgehungert sein?

Das hohe Meisterstück

Die Beschreibung des Streckenverlaufs verspricht uns nun das Meisterstück. Über den ehemaligen Lichtenauer Grenzweg, von dem ich erfahrungsgemäß eigentlich Betonplatten erwartet habe, sollen wir irgendwann, nach dem ersten Stockeinsatz, auf den Hohen Meißner ankommen. Zuvor sorgen erneut totes Holz sowie ein Auf und Ab für koordinative und konditionelle Herausforderungen.

Apropos konditionelle Herausforderungen: Ihr erinnert euch an das Ding mit der Spitzengruppe. Nicht mitlaufen, wenn man da nicht reingehört. Ach ja – war schön bis hier hin. Das hohe Meisterstück haben wir im Team bezwungen, den Rest (höhö, von wegen – noch nicht mal die Hälfte haben wir) schaffe ich allein. Oder aber – dramat(urg)isch verpackt:

»Und so ziehen sie von dannen, meine treuen Gefährten.
Auf den Weg zur hessisch lichten Au,
durch die wilden Schluchten hinter dem Berge,
deren ich nun ohne Hilfe durchschreiten muss.
Oh, Graus. Mir wird bang.«

 

Allein

So, jetzt mal wieder weiter ohne dieses Gesülze. Aber mir war gerade so danach – Märchenultradingens, you know. Und schließlich beginnt jetzt die mentale Herausforderung, die Strecke ohne Hilfe in Angriff zu nehmen. Es sei denn, ich sammle unterwegs noch jemand auf, der aus der Spitzengruppe zurückfällt. Haha, als ob!

Allein laufen heißt auch allein fotografieren. Also die GoPro auf dem Stativ irgendwo hin platzieren, drei Meter zurücklaufen und alberne Bilder wie jene hier machen. Nun ja, was tut man nicht alles für einen unterhaltsamen Blogbericht. Und da soll noch mal jemand sagen, dass influenzen keine Arbeit ist!

Mit der Warnung, dass es bei den Seesteinen steil und gefährlich ist, hat Marcel nicht übertrieben. Okay, nass und glatt war es nicht, aber herausfordernd, vor allem nach der bisherigen Strecke, war es allemal. Allerdings auch einzigartig und schön.

Auf den nächsten Kilometern habe ich das Gefühl, dass die Entscheidung allein weiterzulaufen nicht verkehrt war. Es nimmt tatsächlich etwas Druck vom Kessel, und ich komme gut voran. Selbst die ewig lange Bergabstrecke in den kleinen Ort Küchen bereitet mir keinerlei Probleme, obwohl ich mit sowas sonst immer hadere. Frei nach Otto Waalkes gilt jedoch: „Je länger das Sssssst, desto größer das Bums.“

Folgerichtig geht es nun wieder ersichtlich bergauf. Und zwar auf rund 500 Höhenmeter. Erneut über den Lichtenauer Grenzweg (wieder ohne Betonplatten – ich prangere das an!) und weiter über den Reichenbacher Premiumweg. Zwischendurch zeigt die SUUNTO noch etwas mehr als 21 Kilometer bis ins Ziel an. #einhalbergehtimmer

Same procedure as every ultra

Mit dem zweiten Verpflegungspunkt bei Kilometer 37 hake ich einen weiteren mentalen Punkt ab. Richtigen Hunger habe ich nicht, aber eine Flask schreit nach neuem Wasser. Etwas Cola schütte ich auch noch in mich hinein. Vielen Dank an die lieben Menschen, die dort bei kaltem Wind auf die Läuferschar gewartet haben.

Jetzt nur noch zwanzig Kilometer. Ein Klacks. Ja, beizeiten bin ich zu Scherzen aufgelegt. Zumindest dann, wenn ich dazu noch in der Lage bin. „Herr Doktor, wenn ich so laufe, dann geht’s!“ wäre jetzt ein passender Spruch. Noch halten sich die Gehpausen nämlich in Grenzen. Ich bin tatsächlich überrascht, wie gut das bisher so funktioniert. Ich kann mich sogar an illustren Sehenswürdigkeiten wie den „Großen Steinen“ erfreuen.

Hoch oben am Eisberg (583 HM) bei Kilometer 40 hat man wohl den besten Ausblick, aber das Wetter heute ist eher so mittel bis mäh. Gut, wollen wir nicht meckern. Immerhin regnet es nicht. Noch nicht.

Tja, und dann kommt das, wonach man die Uhr stellen kann. Ich meine jetzt nicht die Marathon-Distanz, die sie mir gerade anzeigt. Nein, ich meine das, womit ich gerechnet habe. Ihr wisst schon – Spitzengruppe – nicht mitlaufen, weil doof.

So langsam rächt es sich. Mein linkes Knie fängt plötzlich an zu krampfen. Kommt nicht so gut beim Downhill. Die ersten Verfolger ziehen an mir vorbei und schauen mich mitleidig an. Das Mitleid tut nicht Not – bin ja selber schuld. Ich versuche es mit einem Gel von Näak in der Geschmacksrichtung „Salted Maple“. Salz macht Sinn, denke ich mir. Und in der Tat geht’s ein oder zwei Kilometer wieder besser. Puh, Glück gehabt.

Pasta Morgana

„Hier riecht’s nach Bärlauchpesto. Da hätte ich jetzt Bock drauf. Leckere Nudeln!“ denke ich. Jetzt fängt der Kerl schon an zu halluzinieren. Eine Pasta Morgana, sozusagen. Doch Obacht – was ist denn das? Der ganze Hügel ist tatsächlich voll mit Bärlauch bewachsen. Hat mir die Unterversorgung also doch nicht den Verstand geraubt.

Hier bei der Ruine Reichenbach werde ich von den nächsten Läufern kassiert. Christian und Thomas sind auch dabei. Letzterer in seiner Funktion als Trailtherapeut bietet mir dankenswerter- aber unnötigerweise seine Hilfe an. Ich komme klar – hab noch zur Not ein Gel. Ist ja auch nicht mehr weit, wenn auch die letzten Kilometer der Veranstaltung gefühlt die längsten waren, inklusive einem kurzen Regenschauer.

Ich und mein Malz

Mit einem Malzbier in der Hand stehe ich nun hier, nach 7:51 h. Eigentlich mag ich gar kein Malzbier. Aber gerade jetzt und hier schmeckt das so gut wie nie. Muss an dieser Ultrarennerei liegen. Immer wieder schön, wenn solche kleinen und liebevoll organisierten Veranstaltungen dazu beitragen, dass dieser Sport so viel Spaß machen kann. Danke Marcel, dass du sowas ermöglicht hast.

Ja, und auch vielen Dank an Melanie, Dominik und Marcel für das Pacen in der Spitzengruppe. Was soll ich sagen? Ich sollte da besser nicht mitlaufen, aber ich würde es genauso wieder machen – auch wenn es sich am Ende rächt. Das war’s wert! :)

Daten zum Lauf


 

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6 Kommentare

  1. Comment by Koch

    Koch Antworten 1. April 2025

    Mal wieder ein toller Bericht ☺️ Das liest sich so super , man will mehr und immer mehr , spannend , witzig , neugierig , jedesmal ein Lächeln und schmunzeln im Gesicht wir wollen mehr und nochmal mehr ✌

    • Comment by Martin

      Martin Antworten 2. April 2025

      Danke, Ludmilla. Berichte schreiben macht fast soviel Spaß, wie das Laufen. Musste auch mal probieren. Bis bald!

  2. Comment by Oliver

    Oliver Antworten 2. April 2025

    Schöne Strecke, feine Veranstaltung, überschaubare Teilnehmeranzahl, kein allzugroßes Leiden unterwegs, das klingt doch alles wunderbar und gelungen. Gut gemacht :-)

    • Comment by Martin

      Martin Antworten 2. April 2025

      Danke, Oliver. Ja, ich kann nicht meckern.
      In knapp zwei Wochen geht’s weiter. Bis dahin: Beine lockern und Füße still halten. :)

  3. Comment by Mel

    Mel Antworten 2. April 2025

    „Wieso sind hier keine Betonplatten“… ich habe gerade nochmal herzlich gelacht!
    Es war eine tolle Truppe in der hinteren, vorderen, doch hinteren, zweiten, na du weißt schon, Gruppe.
    Wir hätten dich gerne noch länger mitgenommen, aber es war wahrscheinlich wirklich dann die beste Entscheidung.
    Nächstes Mal dann.

    Super Bericht :-D

    • Comment by Martin

      Martin Antworten 2. April 2025

      Naja, vermisst habe ich sie nicht, die Platten. Sie waren nur in meiner Erwartungshaltung vorhanden. ;)

      Wie schon oben geschrieben: Wenn sich die Gelegenheit ergibt, laufe ich gerne wieder bei euch mit. Es sei denn, der doppelte Hackentritt von Dominik war absichtlich, damit der alte Sack nicht mehr in der Gruppe mit rennt… :hehehe:

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