1. Akt
Ich stehe in der Startaufstellung und taxiere die anderen Läufer. Welche Altersklasse der Grauhaarige da drüben wohl hat? Will der da drüben etwa mit den Schuhen so einen Wettkampf machen? Wohl ein klein wenig zu dick angezogen, die da vorn…
Irgendwie sitzt die Startnummer nicht wie sie soll. Diese bescheurten Sicherheitsnadeln. Irgendwann kommt der Tag und ich piekse mir noch in die Brust. Verdammt – war das etwa schon der Startschuss? Manno, ich hab doch das GPS von der Uhr noch gar nicht aktiviert! Und wieso stehe ich überhaupt so weit hinten? Ich hab mir doch noch beim Silvesterlauf vorgenommen, dass ich beim nächsten Wettkampf in der ersten Reihe stehe. Aber da haben sich diesmal die 5 km-Läufer positioniert. Wir, die 20er, reihen uns dahinter ein. Das war’s dann wohl auch diesmal mit der richtigen Pace von Anfang an. Jetzt darf ich erst mal Slalom laufen, und das, obwohl es auf den ersten Kilometern eh schon so eng auf der Strecke ist.
Zur Belohnung geht es dann die nächsten Kilometer konstant bergauf. Hey, du Muskelprotz da vor mir – das haste nun von deiner Muckibude, die nutzlosen Bizeps darfst du jetzt bis auf den Gipfel schleppen. Guck mal, wie ich Spargeltarzan an dir vorbei ziehe. Alterklasse gefühlt um die M30, irgendwas mit Triathlon steht auf dem Rücken geschrieben – dann lässt der sich von so einem alten Sack wie mir abledern. Läch-er-lich.
Da vorn ist auch schon die erste Wasserstelle. Gleich drei Helfer halten mir einen Becher hin. Ich schnappe mir den von der Hübschen – wie dusselig ich mich später beim Trinken anstelle, muss sie ja nicht sehen. Ein kleiner Schluck landet im Mund, der Rest auf dem Shirt. Würde mich jemand fragen, so würde er zu hören bekommen, es ist Absicht. Auch im Frühling ist es ja bei Zeiten schon recht warm.
2. Akt
Frisch gestärkt rolle ich jetzt das Feld von hinten auf. Der da vorn – der ist es. Der läuft in etwa meine Pace, nur etwas schneller. Von nun an ist das mein persönlicher Pacemaker. Er weiß nur noch nichts davon. Oder scheinbar doch, denn beim nächsten Abzweig nimmt er die falsche Richtung. Das ist entweder Taktik, eine spontane Demonstration seiner Abneigung gegen mich oder einfach Dusseligkeit. Ich entscheide mich für die letzte Möglichkeit und kläre ihn sportlich ob des richtigen Weges auf. So richtig dankbar zeigt er sich nicht, aber immerhin wechselt er ein paar Worte mit mir. Auf die konstante Atmung käme es an und darauf, sich auf den Lauf zu konzentrieren. Heißt so viel wie: „Halt die Klappe!“
Dann laufe ich eben in seinem Windschatten. Machen Gabius, Kimetto und Co. ja auch – habe ich im Fernsehen gesehen. Theorie und Praxis tendieren jedoch weit auseinander. Entweder ist der Kerl zu klein oder vielleicht fehlt einfach der Wind – die Lücke wird größer und größer. Inzwischen geht es wieder bergab, und ich kann ein wenig aufschließen. Taktisch überlege ich kurz, ihn wieder in ein Gespräch zu verwickeln. Vielleicht über das Tragen von Kompressionsstrümpfen während der Regeneration oder über die Vorteile von Chia-Samen in grünen Smoothies. Eventuell hat er aber auch recht und ich sollte mich besser auf den Lauf konzentrieren, denn kurze Zeit später geht es wieder steil bergauf.
Genau hier kann ich wieder punkten. Ich bin nur noch wenige Meter hinter ihm und höre schon sein Schnaufen. Moment – sein Schnaufen? Nein, das kommt gar nicht von ihm. Hinter mir rennt der muskulöse Triathlet gerade alles nieder, was ihm in die Quere kommt. Geht das demm mal mit rechten Dingen zu? Der hat doch garantiert abgekürzt, da oben im Wald. Bei der Masse kann es jedoch auch sein, dass der beim Bergablaufen sämtliche Rekorde gebrochen hat. Wie auch immer – nur kurze Zeit kämpfe ich nun mit zwei Kontrahenten um eine gute Platzierung.
3. Akt
Da passiert es. Mein Pacemaker bricht ein. Er signalisiert mir, dass ich an ihm vorbei ziehen soll. Nun gut – wenn er will. Nichts leichter als das. Ich habe ja schließlich noch Körner, wie man so schön sagt. Was dann passiert, verbuche ich unter dem Kapitel »Wettkampferfahrungen, die man wohl oder übel machen muss«. Der Typ hatte mich verarscht. Aber so richtig. Der wollte nur in meinem Windschatten laufen. Auf den nächsten 200 Metern holt er sich auf wundersame Weise die Kraft für den Endspurt. So, als sei nie etwas gewesen, zieht er gut einen Kilometer vor dem Ziel an mir vorbei und läuft engelsgleich, zusammen mit dem Muskelpaket, dem Zielbier entgegen.
Das ungleiche Duo treffe ich bei der Laktatmessung wieder. Ich klopfe den Beiden gönnerhaft auf die Schulter und gratuliere, wie es sich gehört. Immerhin – beim Laktatwert war ich der Sieger.
Epilog
Was taugt eine Prosa ohne Liebesbekundungen? »Der Wettkampf ist der beste Test für einen Wettkampf«, sagt Herbert Steffny. Der kann nicht nur Trainingspläne schreiben, sondern hat mit dieser Weisheit voll ins Schwarze getroffen. Nichts macht mehr Spaß, als sich mit anderen Laufbekloppten messen zu können. Ein Läuferleben ohne Wettkampf? Für mich undenkbar. Ich freue mich bereits auf den Nächsten. Ihr euch auch?
15 Kommentare
Comment by O-Jay
O-Jay 16. April 2015
Sehr amüsant geschrieben, hatte fast ein Dauergrinsen im Gesicht.
Ich? Wettkämpfe? Ganz ehrlich: ich hatte in den nunmehr 15 Jahren, seitdem ich das Laufen angefangen habe, nie das Verlangen danach gespürt. Somit stehen gerade einmal 5 km bei der Premiere des Runner’s Point-Staffellaufs anno 2009 in und um die Arena Auf Schalke zu Buche.
Ich bin eigentlich froh, wenn ich bei meinen Runden durch die Felder großartig keinem begegnen muss und meine Ruhe habe. Dafür mache ich das Ganze eigentlich. Und dann in so einem Pulk von mehreren hundert/tausend Läufern? Gruselt mich ein bisschen.
Comment by Martin
Martin 17. April 2015
Danke für’s Lob.
Ja, Wettkämpfe sind wirklich nicht jedermanns Sache. Der Frankfurt Marathon mit seinen 11.000 Teilnehmern – wenn ich davon erzähle, höre ich auch manchmal, dass das bei dem ein oder anderen sogar Panik hervorrufen würde.
PINGBACK › 16 KW 2015
Comment by ultraistgut
ultraistgut 22. April 2015
Diese Worte können nur von einem Mann stammen, sicherlich, es gibt auch Frauen, die genauso ticken, aber der Wettkampf an sich ist wohl – schon in der Antike – eher ein Magnet fürs männliche Geschlecht. Wie viele von den Läufern mögen genauso gedacht haben wie du, aber es gibt, wie man oben lesen kann, auch Läufer deines Geschlechtes, die nicht den Drang verspüren, sich mit anderen ihres Geschlechtes zu messen.
Das Schlimmste jedoch, was IHM passieren kann, wird er von einer Frau überholt, das kann kaum ein Mann ertragen, legt sich ins Zeug mit seinen letzten Kräften, muss sich schnaufend damit abfinden dass er der Verlierer im Zweikampf ist. Das habe ich früher oft erlebt, als ich noch jung und knusprig war, immerhin gab es Männer, die im Ziel nach mir Ausschau hielten und mir gratulierten – immerhin !!
Um das leidige Thema Sicherheitsnadeln – vielleicht noch auf neuem Material – zu umgehen, schlage ich dir vor, dir einen Startnummerngurt zuzulegen, dann hast du solche Probleme nie wieder !
Comment by Martin
Martin 22. April 2015
Hihi. Ich wusste, dass ich von dir Mecker bekomme…
So ganz unterschreiben kann ich das aber nicht. Ich hab unter meinen Kontakten genug Mädels, die mindestens ebenso ehrgeizig in ein Rennen gehen.
Und was das Überholen anbelangt, so kann ich nur sagen – bei dem oben beschriebenen Lauf ist vor mir keine Frau ins Ziel gekommen. Kann ich also leider nichts zu sagen.
Startnummerngurte habe ich hier auch ein paar rumliegen, die mag ich allerdings noch weniger wie Sicherheitsnadeln, weil die Startnummer dann entweder immer fast im Schritt hängt oder, wenn ich den Gurt höher befestige, ich dann zusätzlich zum Pulsgurt noch was um die Brust habe – mag ich nicht.
Comment by Laufhannes
Laufhannes 22. Mai 2015
… ganz davon abgesehen, dass das Tragen der Startnummer im Schrittbereich o.ä. offiziell nicht erlaubt ist. Alternativ gibt es ja auch die magnetischen Dinger – aber ich glaube mit denen wird es nur noch schiefer.
Comment by Martin
Martin 23. Mai 2015
In diese Magnetdinger hätte ich ja nun gar kein Vertrauen. Ich stelle mir gerade vor, dass wie im Gewühl beim Start die Magnete wegpurzeln und ich 42 km lang die Startnummer vor mir hertragen muss…
Comment by ultraistgut
ultraistgut 22. April 2015
Trotzdem sind die weiblichen Teilnehmer in der Regel weniger ehrgeizig und verbissen, als ihre männlichen Genossen !!
Keine Frau vor dir ins Ziel gekommen, ich glaube, du musst an Läufen starten, in denen auch weibliche, ehrgeizige, schnelle am Start sind !!
Die Probleme mit dem Startnummerngurt sind mir allerdings fremd, bin froh, dass es sie gibt !!
Wie auch immer – bin gespannt auf den Lauf, bei dem dich viele Frauen überholen !!
Comment by Martin
Martin 22. April 2015
Da waren auch weibliche, ehrgeizige Läuferinnen dabei. Glaub mir.
Und auch wenn davon welche vor mir ins Ziel gekommen wären – stolz auf den Platz 3 meiner AK wäre ich so oder so. Guckst du auch hier.
Comment by LäuferJürgen
LäuferJürgen 24. April 2015
Was ist von der Watch zu halten, speziell für uns Runners?
Hast Du Dir eine geordert Martin, und machst einen Test für Deine Follower?
Ich schwanke noch, oder warte erstmal auf Erfahrungen.
Aber die Watch scheint sehr auf sportliche Menschen ausgelegt zu sein.
Comment by Martin
Martin 24. April 2015
Ich hatte meine Meinung schon bei der ersten Präsentation kundgetan.
Mich stört vor allem die geringe Akkulaufzeit und dass man die Uhr nur zusammen mit dem iPhone nutzen kann.
Fazit: das Geld würde ich eher in einen Garmin Forerunner 620 oder in eine Polar V800 investieren.
Comment by Culli
Culli 30. April 2015
Sehr unterhaltsamer, wirklich toll geschriebener Artikel!
Man kann sich direkt in den Wettkampf hineinversetzten.
Vor allem beim Verpflegungsstand musste ich lachen, diese Problematik kenne ich nur allzu gut. Besonders angenehm ist es bei Iso-Getränken, die so richtig schön kleben wenn man sich damit besudelt. Wenn die Becher dann noch aus billigem Plastik sind und beim zusammenquetschen aufreißen ist die Sauerei perfekt!
Freue mich schon auf deinen nächsten Artikel.
Sportliche Grüße Culli
Comment by Martin
Martin 30. April 2015
Danke dir, Culli. Ich werde mir Mühe geben. Sowohl beim Trinken, als auch beim Schreiben.
Comment by David
David 11. Mai 2015
Sehr lebhaft geschrieben, man fühlt sich fast als wäre man selbst der Läufer. Und es klingt wie ein spannendes Spiel, habe mir Läufe gar nicht so unterhaltsam vor gestellt. Aber Laufen verdient einen großen Respekt, die Ausdauer baut sich wohl mit harter Arbeit auf. Die Beschreibung vom steilen Berg klingt schon fast Mühelos, da komme ich schon beim lesen ins schwitzen
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